Was ist mit Stress gemeint ?
Obwohl jeder sofort weiß, was gemeint ist, wenn man von Stress spricht, ist der Begriff Stress schwerer und komplexer zu fassen.
Stress ist aus evolutionärer Sicht ein uralter, biologisch sinnvoller Mechanismus, der dem Menschen durch einen reflexhaften Angriffs- oder Fluchtmechanismus das Überleben sichert. Bei drohender Gefahr wird dem Menschen durch eine blitzschnelle Kräftemobilisierung des Organismus eine schnelle Anpassung an Belastungen und Herausforderungen ermöglicht. Sobald ein Lebewesen einer akuten Bedrohung ausgesetzt ist, kommt es zu automatisch ablaufenden physiologischen Veränderungen, die den Körper in die Lage versetzen, die jeweilige Anforderung zu bewältigen.
Diese durch Stress ausgelöste körperliche Aktivierung ist nun nicht per se gesundheitsschädlich, sondern kann, wenn sie von regelmäßigen Phasen der Entspannung abgelöst wird, sogar als „Würze des Leben“, betrachtet werden, wie Selye, ein Pionier der Stressforschung, Selye (prom. Mediziner u. Prof. für Biochemie) dies getan hat.
Mit dem Stressbegriff ist nun aber keineswegs – wie man es im umgangssprachlichen Gebrauch häufig vorfindet – nur die Stressreaktion gemeint, die sich – wie jeder aus eigenem Erleben weiß – in vielfältigen körperlichen Symptomen ebenso zeigt wie in Gedanken, in Gefühlen und im Verhalten. Genauso einseitig wäre es auch beim Stressbegriff nur an die Stressauslöser bzw. Stressoren zu denken, also an all die äußeren Bedingungen/Reize, die einem Menschen als Gefahr u. Bedrohung erscheinen mögen (bspw. Lärm, Zeitdruck, Ärger mit Partner, Kindern o. Kollegen, Arbeitsplatzveränderungen etc., etc.).
Stress ist also weder nur Reiz (Stressauslöser) noch nur Reaktion. Vielmehr stehen nach heute verbreitetem Verständnis, welches auf den Stressforscher Lazarus zurückgeht, beide Aspekte (Stressor u. Stressreaktion) in einer Beziehung der wechselseitigen Beeinflussung (Transaktion) zueinander, einer Verbindung zwischen einer sich ständig verändernden Situation und einer denkenden, fühlenden und handelnden Person, die sich beide beeinflussen und aufeinander wirken.
Nach dieser Auffassung gibt es keine Reize, die per se „objektiv“ als Stressauslöser wirken. Dazu (zum Stressauslöser) werden sie erst durch die individuelle Bewertung der Person, welche die Situation erlebt. Diese Bewertungen, die blitzschnell und fast zeitgleich ablaufen, entscheiden darüber, ob wir eine Situation als irrelevant bzw. als angenehm positiv erleben oder als stressbezogen, d.h. als bedrohlich, als schädigend oder als herausfordernd.
Der „steinzeitliche“ Mechanismus Stress, der uns also im positiven Fall reflexartiges und hellwaches Reagieren ermöglicht, wird für den heutigen Menschen erst dadurch zum Problem, dass er in einer modernen Gesellschaft durch eine Vielzahl von Reizen zwar unzählige Male am Tag ausgelöst wird, zugleich aber die durch die Stressreaktion produzierte Energie nicht mehr in Kampf oder Flucht verbraucht wird.
Quelle: Auszüge von Ulla Franken